Christine Knappert
Die Autorin ist Dipl.-Sozialarbeiterin und Mediatorin, Dozentin/Referentin für Familienmediation im Allgemeinen Sozialen Dienst, Bad Salzuflen.

 

Wenn ein Elternteil nicht will, kann man nichts machen!?

 

Welche Chancen bietet das neue Kindschaftsrechts­reformgesetz für Jugendämter und Familiengerichte, der bisher so erfolgreichen " Kopfschüttel -Strategie" eines Elternteils ein Ende zu setzen?

 

Der Beitrag macht deutlich, daß die neue gesetzliche Lage im Kindschaftsrecht die Chance bietet, dem kindeswohlgefährdenden Machtkampf der Eltern Einhalt zu gebieten, wenn Jugendhilfe und Justiz es schaffen, neue Ansätze für ihr Selbst- und Funktionsverständnis zu entwickeln.

 

Jugendämter und Familiengerichte werden in Scheidungsverfahren immer wieder damit konfrontiert, daß sich ein Elternteil kooperativ im Sinne einer friedlichen Lösung verhält und der ande­re. meistens derjenige, der sich bereits als Sieger fühlt, die härtere Gangart mit dem Ziel .Ich will gewinnen" favorisiert.

Die Praxis der Rechtsprechung beweist leider, daß der Elternteil besser dran ist, der die extremere Position einnimmt und den längeren Atem hat. Im Klartext gesprochen: Derjenige Elternteil, der "nein" sagt zur Beratung. der .nein" sagt zur gemeinsamen Optionsentwicklung. der letztendlich auch "nein" sagt und mit dem Kopf schüttelt, wenn es um gemeinsame Elternverantwortung, um den Erhalt der Eltern-Kind-Beziehung zum getrenntlebenden Elternteil geht, dieser Elternteil bekommt in der Regel zur Belohnung für seine Gewinner-Verlierer-Strategie das alleinige Sorgerecht übertragen.

Dabei wissen die professionellen Scheidungsbegleiter, daß ein Machteingriff durch das Gericht, der zum "Rausschmiß" eines Elternteils führt und dadurch die Siegerposition des anderen bestärkt, konfliktverschärfend wirkt. So eine Entscheidung berücksichtigt weder Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen noch sichert sie das Kindeswohl. Es ist eine Entscheidung, die absolut erwachsenenorientiert ist, die das Positionsgerangel und den Kampf eines Elternteils unterstützt und bestätigt und damit die zukünftige kooperative Elternbeziehung im Interesse des Kindes unmöglich macht.

Das Machtungleichgewicht wird mit Hilfe einer gerichtlichen Entscheidung verstärkt, und der Machtkampf wird mit verheerenden Folgen für alle Beteiligten, insbesondere jedoch für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, weitergeführt, in der Regel mit verschärften Methoden. Die Unberechenbarkeit des Verhaltens des Sorgerechtsinhabers nimmt immens zu, das Macht-Ohnmachts-Gefälle ist perfekt. Die Machtinstanz "Sorgerechtsbesitzer" kann aufgrund ihrer Machtüberlegenheit ihre Maßnahmen gegen den Willen des "Nichtsorgerechtsbesitzers" durchsetzen.

 

 

Das Machtgefälle in der Praxis

Einige Beispiele aus Elterngesprächen und Elternbriefen zeigen es deutlich:

"Wie Du sicherlich noch weißt, habe ich das Sorgerecht für die Kinder und somit auch zu entscheiden, wann, ob und für wie lange die Kinder mit Dir verreisen können. Es ist keinesfalls üblich, daß ein Vater seine Kinder mit in den Urlaub nehmen darf, sondern ein Entgegenkommen meinerseits.“

oder

„Falls Du in "Begleitung " nach ... kommst, werde ich dieses Angebot an Dich (Umgang zwischen Vater und Kind 4.i~Anm. d. V.) sofort zurücknehmen."

oder

"Es tut mir sehr leid für Euch, aber ohne, daß Euer Verhalten sich ändert, bzw. Eure Einstellung sich ändert, werde ich meine Konsequenzen nicht ändern. Anders als durch klare Worte scheint Ihr nichts zu begreifen. " (Konsequenz: Aussetzen des Umgangs zwischen Kind und seinen Großeltern, Anm. d. V.)

oder

Ich erwarte von Dir daß Du meine Erziehung nicht unterläufst und endgültig innerhalb Deiner Anverwandtschaft durchsetzt...

Ebenso erwarte ich, daß das Kind weder Fleisch noch Wurst bekommt. Du untergräbst damit unsere (die der Kindesmutter und des sozialen Vaters - Anm. d. V) vegetarische Erziehungs­ und Ernährungshaltung. Sollten sich zukünftig für das Kind die Irritationen mehren, sehe ich mich gezwungen, die Besuchskontakte einzuschränken. Ich bitte um Stellungnahme! "

oder

Eine Beratung, in der weitere Verhaltensregeln! besprochen würden, ist sinnvoll, um die Spannungen abzubauen, unter denen das Kind und wir (damit gemeint ist die Mutter und ihr neuer Lebenspartner, Anm. d. V.) leiden. Auf eine Umgangsregelung wird sie mit Sicherheit keinen Einfli4ß haben, da meine Vorstellungen zu jenem Kontext in sich geschlossen und zur Genüge dargelegt worden sind. Der getroffene Beschluß entspricht dem Maximum des Wohles von ... ! "

 

Reaktionen auf das Beratungsangebot

Vor diesem Erfahrungshintergrund bietet das Jugendamt Müttern und Vätern im Rahmen der Mitwirkungspflicht gem. § 50 SGB VIII eine Beratung im Sinne des § 17 SGB VIII an. Bekanntlich reagieren Eltern unterschiedlich auf dieses Leistungsangebot:

1.     Eltern kommen nicht, weil sie es nicht wollen

2.     Eltern kommen nicht, weil sie sich bereits geeinigt haben und es keinen Beratungsbedarf gibt

3.     Eltern kommen, informieren sich. teilen mit, daß sie bereits eine Entscheidung getroffen haben und keine Beratung wünschen

4.     Eltern kommen, wollen Beratung und es klappt!

5.     Eltern kommen, wollen Beratung und es klappt nicht mit dem einvernehmlichen Konzept. Sie wollen gerichtliche Entscheidung, in der Hoffnung, daß Ruhe einkehrt

6.     Eltern kommen und wollen gleich gerichtliche Entscheidung, weil jeder hofft, zu gewinnen.

7.     Eltern kommen getrennt, ein Elterteil ist kooperationsbereit, der andere blockt alles ab, zeigt keinerlei Bereitschaft, im Interesse der Kinder zu kooperieren und wenn, dann nur zu den eigenen Bedingungen.

Praxisbeispiel

Zum zuletzt Genannten ein kurzes Beispiel aus der Praxis:

Das Familiengericht informiert das Jugendamt über die Scheidung der Familie X. Für zwei minderjährige Kinder muss das Sorgerecht geregelt werden. Das Jugendamt wird gebeten, sich im Rahmen von § 50 SGB VIII zu äußern. Das Jugendamt lädt beide Elternteile zu einem gemeinsamen Gespräch ein. Die Mutter ist nicht bereit. Der Vater schon, weil er sich etwas davon verspricht für den Erhalt der Beziehung zu seinen Kindern. Nach zwei Einzelgesprächen. jeweils mit Vater und Mutter getrennt, gibt es das erste gemeinsame Gespräch. In dieser Situation wird deutlich, daß die Mutter das alleinige Sorgerecht will, der Vater das gemeinsame. Beide haben Berufe. die es zulassen, sich gut und ausreichend um die Kinder zu kümmern. Die Mutter schüttelt den Kopf und sagt: "Nein! Ich will das alleinige Sorgerecht! Und mein Anwalt hat mir gesagt, daß ein Richter nur dem gemeinsamen Sorgerecht zustimmt, wenn beide Elternteile sich einig sind. Ihre Beratung ist zwar nett gemeint, wird mich aber sicherlich nicht von meinem Entschluss abbringen. .,

Diese Einstellungen und Verhaltensweisen versetzen jedem Beratungsangebot den „Todesstoß“. Enttäuschung, Ohnmachtsgefühle und Wut beim anderen Elternteil, der sich spätestens zu diesem Zeitpunkt als absoluter Verlierer sieht; Schulterzucken und Hilfslosigkeit bei der beratenden Person des Jugendamtes. Auch sie muss erkennen, daß ihr Leistungsangebot mit dem Versuch, die Beteiligten so zu ‑motivieren, daß sie diese Leistung auch annehmen können, absolut keine Chance hat. Die einzige Möglichkeit in dieser Situation wäre die Entscheidung einer Machtinstanz (z. B. Familiengericht), die aufgrund ihrer Machtüberlegenheit ihre Maßnahmen gegen den Willen des betroffenen Elternteils und im Interesse der Kinder durchsetzt. Dazu wären allerdings Überlegungen notwendig. die sich tatsächlich in erster Linie mit der Situation, der Befindlichkeit und den Interessen und Bedürfnissen der betroffenen Kinder befassen. Das würde bedeuten. daß die Familiengerichte wie die Jugendämter an dieser Stelle Mut und Zivilcourage, Fachkenntnisse und soziale Kompetenz beweisen müssten, um kindgerechte Lösungen und Entscheidungen herbeizuführen. Erst dann wäre die Formulierung "entspricht dem Wohl des Kindes am besten gerechtfertigt.

Welcher Familienrichter und welche Sozialarbeiterin traut sich, so konsequent kindorientiert zu handeln?

 

Reaktionen der Jugendhilfe

Die häufigste Reaktion von Jugendamtsmitarbeitern ist die: „Wenn ein Elternteil nicht will, dann kann man nichts machen!“ Und die Praxiserfahrungen zeigen eindeutig, daß wesentlich mehr Mütter die Köpfe schütteln und "nein‑sagen als Väter. Das liegt sicherlich zum einen daran. daß nach wie vor die Kinder meistens bei den Müttern leben, auch von ihnen begleitet und versorgt werden und die Mütter daraus den Rechtsanspruch auf das alleinige Sorgerecht und damit verbunden auch den Anspruch auf Alleinherrschaft über die Angelegenheiten der Kinder ableiten. Zum anderen zeigen sich diese Väter von Beginn an kooperativer. weil die Überzeugung: Das Kind braucht die Mutter! selbstverständlicher ist, als der Glaube daran. daß das Kind auch den Vater braucht. Außerdem haben Väter ganz einfach weniger Chancen, gegen den Willen der Mutter das alleinige Sorgerecht zu bekommen. Oft raten sogar auch die Anwälte den Vätern, gar nicht erst den Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge zu stellen, weil er ja sowieso keine Aussicht auf Erfolg habe. Statt dessen beantragen sie häufiger das gemeinsame Sorgerecht und ersatzweise für den Fall, daß die Mutter nicht zustimmt, das alleinige. Auch hier zeigt die Praxis. wenn die Mutter nicht will, bekommt sie das alleinige Sorgerecht übertragen. Mit dieser Vormachtstellung der Mütter, häufig noch verstärkt durch das Verhalten der Anwälte, kommen diese Scheidungseltern zum ersten Gespräch ins Jugendamt.

Verunsicherung, Überforderung und Angst vor der Auseinandersetzung mit dem sich verweigernden Elternteil auf der einen Seite und die Hoffnungslosigkeit, bedingt durch die derzeitige (Sorge-) Rechtsprechung auf der anderen Seite, "verführen" die Mitarbeiter des Jugendamtes, sich auf ihre Beraterposition zurückzuziehen und mit den allgemeingültigen Prinzipien der Beratungsarbeit, wie z. B. Freiwilligkeit, Eigenverantwort­lichkeit, ihre Zurückhaltung zu recht­fertigen. Ein bitterer Beigeschmack von Unzufriedenheit und Resignation bleibt.

Aufgrund der Erfahrungen mit den Fa­miliengerichten halten sich die Jugend­amtsmitarbeiter auch im Rahmen der Mitwirkung gemäß § 50 Abs. 2 KJHG zurück. An dieser Stelle ist das Jugendamt aufgefordert, Position zu bezieht, indem es aus der Perspektive des Kindes tätig wird und auf notwendige Maßnah­men hinweist. Spätestens hier gilt es dann für die Jugendämter, die nächste Hürde zu nehmen, und das ist die Aus­einandersetzung mit dem zuständigen Richter. Auch wenn nachweislich eine Entscheidung gegen den Willen des nicht kooperativen Elternteils im Interesse der Kinder von erheblicher Bedeutung wäre, befürchtet der Richter. von der nächst­höheren Instanz korrigiert zu werden, und entscheidet für den "Nein-Sager". Das ist natürlich auch ein Dilemma für die Familienrichter an den Amtsgerich­ten. Denn solange sie sich nicht sicher sein können, daß sich auch bei den Ober­landesgerichten der Paradigmenwechsel vollzogen hat, bleibt für sie die Situation unberechenbar und schwierig.

Die Äußerungen der Jugendämter, die im Rahmen des § 50 Abs. 2 SGB VIII abgegeben werden, dokumentieren die vornehme Beraterzurückhaltung der Jugendamtsmitarbeiter.

Beispiele:

1.     „Das Jugendamt sieht sich zur Zeit außerstande, zwischen den beiden Elternteilen zu agieren. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit ist das Verhältnis zwischen den beiden Elternteilen von einem großen Misstrauen und gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Aus den genannten Gründen scheint die Herbeiführung einer gerichtlichen Regelung notwendig.“

oder

2.     „Das Verhältnis zwischen den beiden Parteien ist total zerrüttet. Eine Einigung ohne gerichtliche Regelung erscheint unseres Erachtens aber auch nicht möglich.“

oder

3.     „Es konnten keine gemeinsamen Absprachen getroffen werden, da eine Verständigung zwischen den Eheleuten, die Grundlage für gemeinsame Absprachen ist, zur Zeit nicht möglich ist.“

Kein Wort darüber, wie es den Kindern geht, kein Word darüber, weiche Maßnahmen im Interesse der Kinder eingeleitet werden müssten, kein Wort darüber, daß es nicht nur ein Elternrecht, sondern auch eine Elternpflicht gibt. Von den erwähnten Beratungsprinzipien ausgehend, sind die Formulierungen bei oberflächlicher Betrachtungsweise sicherlich korrekt. Es geht nur leider nicht mehr um Beratung. Denn diese ist aufgrund der Verweigerungshaltung eines Elternteils unmöglich geworden.

 

Machtinstanz Familiengericht ?

Deshalb muss es möglich werden, daß dieses Machtungleichgewicht, was beratungsverhindernd ist, von seiten der Justiz ausgeglichen wird, dadurch, daß Verweigerer auch entmachtet werden können. mit Hilfe eines Machtwortes durch die Machtinstanz ..Familiengericht".

Bisher bestätigt, wie bereits oben beschrieben, das Gericht durch seine Entscheidungen den Machtanspruch eines Elternteils nach dem Gewinner-Verlierer-Prinzip und ist nicht in der Lage, diese Gewinner-Verlierer-Situation langfristig aufzulösen. So wird der Machtkampf zwischen Männern und Frauen, Müttern und Vätern mit verheerenden Folgen für alle Beteiligten, insbesondere jedoch für die Kinder, fortgeführt. Es soll an dieser Stelle nicht näher auf die Folgen eingegangen werden, da bereits Funk und Fernsehen, Fachbücher und Zeitschriften regelmäßig über die einleuchtenden Erkenntnisse der Familienforschung und die Familienrechtspraxis berichten. Auch die Darstellung der unterschiedlichen Sichtweise zwischen Justiz und Jugendhilfe trägt zwar zum gegenseitigen Verständnis bei, verändert aber zu wenig in der konkreten Rechtspraxis. Es besteht sogar die Gefahr, daß das System der professionellen Scheidungsbegleiter so mit  sich selbst beschäftigt ist, daß es sich immer mehr von der Lebenswelt. den wirklichen Interessen und Bedürfnissen von Scheidungskindern und deren Eltern entfernt.

 

Weiche Chancen bietet das KindRG im Umgang mit kopfschüttelnden Elternteilen?

Verstärkung der Intention des KJHG

Die Frage drängt sich auf, die Antwort aus der Sicht des Gesetzgebers liegt nahe: Das KindRG bietet gute Chancen; ob sie genutzt werden, hängt davon ab, inwieweit die Familiengerichte und die Jugendhilfe den neuen Anspruch des Gesetzes auch umsetzen. Die Intention des Gesetzgebers ist eindeutig: Mehr Kindorientierung und Elternautonomie und weniger staatlicher Eingriff !

Es ist sehr erfreulich und gibt Hoffnung, zukünftig mit einem Gesetz zu ]eben, das zumindest beabsichtigt, mehr als bisher die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen, das die Pflichten statt der Rechte der Eltern in den Vordergrund stellt und die Eingriffsmöglichkeiten des Staates einschränkt: so wenig staatlicher Eingriff wie nötig, so viel Elternautonomie wie möglich! Dieses neue Gesetz knüpft an und verstärkt die Intention des SGB VIII, wegzuführen von dem "ordnungsrechtlichen Instrumentarium" hin zur "präventivorientierten Dienstleistung". Die Voraussetzungen. daß sich dieser Paradigmenwechsel mit Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechtsreformgesetzes weiter vollzieht, sind geschaffen. Fraglich ist, ob die darnit verbundenen Chancen, tatsächlich mehr als bisher kindorientiert zu handeln, auch entsprechend genutzt werden.

Die Erwartungen an Jugendämter und Familiengerichte sind hoch. Schaffen sie es, die neuen Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse von Kindern und Jugendlichen zu nutzen?

 

Vorrang der Beratung vor gerichtlicher Entscheidung

Die Umsetzung kann nur klappen, wenn alle Beteiligten begreifen und erkennen, daß es zukünftig nur noch ein alleiniges Kriterium geben wird für justitielle und präventive Interventionen: das Kindeswohl! Auch wenn der Begriff in Gefahr ist, zur überall verwendbaren nichtssagenden Worthülse zu verkommen, weiß inzwischen wohl jeder, daß damit mehr Kindorientierung als bisher gemeint ist, was bedeutet, weniger gerichtliche Entscheidungen und mehr Beratungsangebote der Jugendhilfe aus Kindesperspektive.

Das Gesetz schreibt vor, daß in jedem Verfahren. das die Person des Kindes betrifft, das Gericht verpflichtet ist, die Eltern auf die Beratungsmöglichkeiten der Jugendhilfe hinzuweisen. Ziel dieser Beratung ist die "Entwicklung eines einvernehmlichen Konzeptes für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung." Die Beratung hat also Vorrang vor einer richterlichen Entscheidung.

Ebenso ist das Jugendamt durch das neue Gesetz verpflichtet, den Eltern ein Beratungsangebot zu machen, "wenn gemeinschaftliche Kinder vorhanden sind". Das Jugendamt ist also aufgefordert, seine Rolle und Funktion weiterhin im Sinne des SGB VIII zu verändern: Freiwilligkeit statt gesetzlicher Zwangsunterstützung und Kindorientierung statt Erwachsenenorientierung. Das hat zur Folge, daß die Beratungsaufgaben der Jugendämter quantitativ und qualitativ zunehmen werden. Deshalb müssen sie sich Gedanken machen über neue Konzepte, Beratungsmethoden, Öffentlichkeitsarbeit. Dabei gilt es zunächst, die vorhandenen Möglichkeiten. die finanziellen und personellen Ressourcen der Jugendämter zu nutzen und ggf. durch Umstrukturierung und Qualifizierung die Leistungsangebote attraktiver und leicht erreichbar zu machen.

 

Standortbestimmung der öffentlichen Jugendhilfe

Es ist zu schaffen, wenn das Selbstverständnis der öffentlichen Jugendhilfe eindeutig ist. Um das zu erreichen, gilt es folgende Fragen zu klären:

Wie viel ordnungsrechtliches Eingreifen, Beaufsichtigen, Kontrollieren wird es zukünftig geben? Mit wie viel "versöhnungsorientierter Neutralität" werden sich die Berater zukünftig zurückhalten? Wie hoch wird der Anteil der autoritativen Fürsorglichkeit sein? Weichen Stellenwert bekommt zukünftig die Sozialleistungsfunktion bzw. das sozialpädagogische Handeln? Wie will das Jugendamt demnächst seiner Leistungsverpflichtung nachkommen? Wird es alle Leistungen selbst erbringen?

Das SGB VIII ist elternorientiert. Die Jugendhilfe muss sich damit auseinandersetzen, wie ernst sie es mit der Kindorientierung nehmen will. Sie muss ein Konzept entwickeln, das Eltern Leistungen anbietet, um Kindeswohl zu sichern. Diesem Konzept muss sie sich verpflichtet fühlen und überlegen, wie es tagtäglich umzusetzen ist. Die öffentliche Jugendhilfe wird sich immer wieder bewusst machen müssen, wessen Interessen sie gerade vertritt und wessen Interessen sie zu vertreten hat.

Es geht um eine Standortbestimmung.

Das KindRG löst das Verbundsystem auf. Demnach werden ab dem 1. Juli 1998 Eltern geschieden, ohne daß zwangsläufig über das Sorgerecht mit entschieden werden muss. Die Eltern bekommen dadurch die Möglichkeit, das Sorgerecht ohne Einmischung von Jugendämtern und Gerichten zu regeln Die Eltern teilen dem Familiengericht mit, ob gemeinsame minderjährige Kinder vorhanden sind. Das Familiengericht ist verpflichtet, wie bereits erwähnt, die Eltern auf die Beratungsmöglichkeiten der Jugendhilfe hinzuweisen, es muss dem Jugendamt die Anhängigkeit des Verfahrens mitteilen. Das Jugendamt wiederum muss dem Anspruch der Eltern auf Beratung gerecht werden und ihnen ein Leistungsangebot machen.

 

Ausgestaltung der gemeinsamen Sorge

Es ist also beabsichtigt, den Eltern bei Scheidung das gemeinsame Sorgerecht zu belassen. Für den Fall, daß es Schwierigkeiten gibt, haben sie die Möglichkeit sich durch das Jugendamt oder andere Beratungsstellen der Jugendhilfe begleiten zu lassen, Vereinbarungen über die Alltagssorge zu treffen und bei Bedarf alle weiteren wichtigen Anliegen, die die Kinder und Jugendlichen betreffen, einvernehmlich und eigenverantwortlich zu regeln. Hier sind zukünftig Beratungsmethoden gefragt, die in Richtung Mediation und andere eigenverantwortliche Konfliktlösungsmöglichkeiten gehen Die klassische Mitwirkung im Rahmen von § 50 SGB VIII entfällt, statt dessen wird es mehr Elternvereinbarungen und Elternverträge geben. Erleichterung gib es möglicherweise auch dadurch, daß es nicht mehr um die vorrangige Frage geht, wer das Sorgerecht bekommt. So mit sind in diesem Kontext die Voraussetzungen sicher gleichmäßiger verteilt was die Chancen für eine einvernehmliche Regelung der Alltagsfragen durch die Beratung erheblich steigert.

 

Alleinsorge möglich, aber nicht wie bisher!

Auch das neue Kindschaftsreformgesetz bietet zukünftig die Möglichkeit, das alleinige Sorgerecht zu beantragen "Dann läuft doch alles wie bisher" könnte man sagen. Das ist ein Trugschluss.

Denn nehmen die Jugendämter und Familiengerichte die Kindorientierung wirklich ernst. müssen umfassende, über den bisherigen Anspruch hinausgehende Beratungskonzepte entwickelt und umgesetzt werden.

Es wäre fatal, wenn hier Jugendämter und Familiengerichte in das gleiche bisherige Fahrwasser geraten würden. Sollten alle Beratungsversuche scheitern und beide Elternteile eine Entscheidung durch das Gericht wollen, ist es die Aufgabe der Jugendämter, den § 50 Abs. 2 SGB VIII und ggf. auch § 50 Abs. 3 SGB VIB kompetent und konsequent anzuwenden.

Das bedeutet, daß die "Kopfschüttel-Strategie" ab dem 1. Juli 1998 keine Aussicht auf Erfolg mehr haben darf, und wenn Anträge auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ohne Einverständnis des anderen Elternteils gestellt werden, diese immer aus der Perspektive des Kindes begründet werden müssen. Denn ab jetzt zählt auch hier als einziges Kriterium das Kindeswohl und nicht mehr der Wille eines Elternteils.

Das Recht des Kindes auf Umgang und der Beratungsanspruch von Kindern und Jugendlichen bei der Ausübung des Umgangsrechts unterstreichen die Stärkung

der Rechtsposition von Kindern und Jugendlichen durch dieses Gesetz. Für die Jugendämter bedeutet es, sich auch diesbezüglich fit zu machen und über entsprechendes Handwerkszeug im Umgang mit Kindern und Jugendlichen in diesen Situationen zu verfügen. Der ganze Komplex "Umgangsrecht und Umgangsregelung erfordert eine hohe Beratungskompetenz von seiten der Mitarbeiter der Jugendämter. Da gibt es sicherlich noch einen enormen Fortbildungsbedarf.

Das KindRG tritt zu einem Zeitpunkt in Kraft, in dem Finanznöte Kürzungen und Umstrukturierungen notwendig machen.

Reformen werden zwar begrüßt, dürfen aber nichts kosten. So besteht die größte Sorge darin, daß die guten Ansätze, die das KindRG bietet, nur halbherzig umgesetzt werden können.

Es ist von der Justiz und der Jugendhilfe sicherzustellen, daß diese langjährig kontrovers diskutierte Reform nicht zu einer Mogelpackung verkommt, sondern Bewusstsein so verändert, daß Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft zukünftig einen bedeutend höheren Stellenwert erhalten.