Interview für den Leverkusener Anzeiger
(Christa Westerheide), 25.8.2001
Professor Dr. Matthias Petzold (50 Jahre alt, geboren in
Dresden) hat eine Familienpsychologische Praxis in Köln, ist
Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,
Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln sowie Gutachter
für Familiengerichte und Medieninstitutionen. Er hat zahlreiche
Bücher geschrieben (z.B. "Die Multimedia-Familie" - Mediennutzung,
Computerspiele, Telearbeit, Persönlichkeitsprobleme und
Kindermitwirkung in Medien, 2000 im Opladener Verlag Leske & Budrich
erschienen) sowie wissenschaftliche Artikel vor allem zum Thema
Entwicklungs- und Erziehungspsychologie verfasst. - Matthias Petzold ist
allein erziehender Vater von drei inzwischen halbwüchsigen (und
natürlich computerkompetenten) Kindern.
-
In der Grundschule wird
über Medien, Schreibmaschinen usw. gesprochen. Fritzchen zeigt auf
und fragt: "Was ist das, eine Schreibmaschine?" Klaus weiß alles:
"Ach, das ist so was, wo an der Tastatur der Drucker gleich mit
drangebaut ist!"
1. Schon zwei- bis dreijährige Kinder erliegen der Faszination der
Computerwelt. Woran liegt das?
Eine besondere Faszination hatten Computer für Kinder und
Jugendliche vor ungefähr 10 Jahren, als sie neu auf den Massenmarkt
kamen. Damals war das auch für Kinder etwas plötzlich Neues.
Heute wachsen Kinder ganz normal mit Computern auf (vgl. Kasten). Heute
steht in ca. Zweidrittel der Familien ein Computer und das ist dann
schon für die Allerkleinsten eine ganz normale Sache. Da die
Eltern aber meist nur wenig davon verstehen, können sie den
Kleinen das Ding auch schlecht erklären. Hat das Jüngste aber
ältere Geschwister, dann lernen bereits die Dreijährigen
alleine, mit einer Maus umzugehen.
2. Manche Eltern befürchten, dass ihr Kind vor dem Computer
krank, blass und einsam wird. Was ist da dran?
Lesen bei schlechtem Licht im Bett führt zu Augenbeschwerden und
bei schlechter Haltung zu Krämpfen im Arm- und Schulterbereich.
Arbeit an ergonomisch schlechten PC-Arbeitsplätzen führt auch
zu Haltungsschäden. Leider sind fast alle Computertische aus
Baumärkten usw. ergonomisch völlig falsch konstruiert. Sehr
schnelle Videobildfolgen (z.B. in Videospielen) können sogar -
allerdings nur bei einer entsprechenden Veranlagung - zu neurologischen
Schäden führen (vgl. die Warnung vor möglichen
epileptischen Anfällen auf den GameBoys). Einsam werden Kinder,
wenn Ihnen das soziale Spiel mit Freunden in der Nachbarschaft durch die
Umweltstruktur (gefährliche Strasse usw.) unmöglich wird und
Eltern Computer als Babysitter missbrauchen. Fast alle Kinder wollen
selbst auch am PC lieber nicht allein, sondern zu zweit spielen. Es ist
also nicht der Computer, sondern die Art unseres Umgangs mit ihm, die
gefährlich sein kann.
3. Wie viel Zeit höchstens sollten Kinder im
Kindergartenalter täglich am Computer verbringen dürfen?
Allgemeine Zeitgrenzen sind nicht sinnvoll. Es wäre aber darauf zu
achten, dass Kindern mehr Zeit im freien aktiven Spiel (ohne Medien)
ermöglicht wird. Praktisch kann man als Richtschnur festlegen, dass
das Zeitbudget Fernsehen und PC zusammengelegt wird. Man kann dann dem
Kind die Wahl lassen, lieber TV zu gucken oder am Computer zu spielen.
Im Unterschied zu Erwachsenen bevorzugen viele Kinder die
Interaktivität des Computers, und das tut ihnen sicher gut.
4. Manche halten den Computer für ein geeignetes Mittel zur
Frühförderung. Sogar Entwicklungsverzögerungen
könnten aufgeholt und Sprachbehinderungen behoben werden. Wie
sehen Sie das?
Gute Medien (ob Montessori-Material oder PC-Lernprogramme) sind immer
ein geeignetes Hilfsmittel als Ergänzung einer qualitativ guten
kindbezogenen Pädagogik. Im neuen Markt der Lernprogramme liegt
aber leider mehr Schrott als pädagogisch Wertvolles auf der
Ladentheke. Für Vorschulkinder besonders empfehlenswert sind aber
z.B. die Reihe Löwenzahn und die CD-ROMs zur Sendung mit der Maus.
5. Es gibt aber auch Medienexperten, die davor warnen, dass sich
Verhalten, Denkweise und Wahrnehmung der Kinder durch Computerspiele
verändern könnten und fordern stattdessen, zunächst
soziale Kompetenzen, Lese- und Schreibkenntnisse zu erwerben.
Durch die neuen Medien werden sich langfristig - über Generationen
hinweg - auch Denk- und Verhaltensweisen ein wenig ändern. Man kann
schon jetzt beobachten, dass die formale Intelligenz langsam steigt.
Wenn der Umgang mit dem Computer bereits im Kindergarten gelernt wird,
also vor dem Lesenlernen, dann kann später der Lese- und
Rechtschreibunterricht darauf aufbauen und effektiver werden. Im Umgang
mit dem Computer nimmt die Fähigkeit zu, mehrere Dinge
gleichzeitig zu tun (Multitasking), besonders bei Kindern. Viele soziale
Kontakte werden auch durch Medien vermittelt (z.B. erstes Dating von
Jugendlichen per Handy). Probleme entstehen besonders dadurch, dass
neue Entwicklungen von Kindern und Familien nicht optimal mitgemacht
werden können, wenn durch ihre Lebenslage schon viele Probleme da
sind. Arme Familien und durch Verhaltensauffälligkeiten
problematische Kinder haben dann oft beim Umgang mit Medien noch mehr
Probleme, z.B. steigende Gewaltbereitschaft. Schuld sind aber nicht die
Medien, sondern die sozialen Verhältnisse.
6. Glauben Sie, dass es Kinder, die ohne Computer aufwachsen,
später schwerer haben werden in Ausbildung und Beruf? Oder ist das
leicht aufzuholen, wenn es an der Zeit ist?
Schon heute wird in fast allen Berufen Computerkompetenz verlangt. Wer
sich als Erwachsener ein wenig Flexibilität bewahrt hat, kann sich
auch darauf umstellen. Das wird auch unseren Kindern später
ähnlich gehen. Aber es ist von Vorteil etwas schon als Kind zu
lernen, denn Lernen ist in der Kindheit einfacher. Es ist deshalb aus
psychologischer Sicht eine sehr gute Sache, wenn Kinder bereits im
Kindergarten lernen, mit dem Computer kompetent umzugehen.
7. Haben Sie einen Rat für Eltern, die selbst keine
Computer-Kenntnisse haben, aber alles "richtig" machen wollen bei ihren
Kindern?
Es ist doch eine große Chance, die Welt der Computer gemeinsam
mit den Kindern zu erobern. Wenn Eltern und Kinder beide noch Neulinge
sind, haben sie die gleichen Startchancen, können prima
partnerschaftlich gemeinsam lernen. Es gibt auch Kurse in
Volkshochschulen und Bildungsstätten für Eltern, manche bieten
explizit Kurse für Familien an.