2.2 Familien als Zentren der Mediennutzung

Weil die Familie als intime Lebensgemeinschaft heute in den unterschiedlichsten Formen auftritt, haben auch die neuen Medien auf die Familie je nach Familienform höchst unterschiedliche Auswirkungen. Es ist deshalb interessant, der Frage nachzugehen, wie sich diese möglichen Entwicklungen der neuen elektronischen Medien aus psychologischer Sicht auf unterschiedliche Arten der Gestaltung des Alltagslebens in der Familie auswirken.

Die von Soziologen früher aufgeworfene Problematik, dass nur die Mittelschicht von neuen Medienangeboten profitieren würde (weil nur sie genügend Geld für teure Apparate ausgeben kann), hat sich nur zum Teil bewahrheitet. Richtig ist zwar, dass die Bildungseuphorie, die in den 60er-Jahren mit dem Fernsehen verbunden war und sich in Programmen zur Erhöhung der Chancengleichheit ausdrückte ("Sesamstraße"), zu einer großen Enttäuschung führte. In Familien mit hohem pädagogischen Anspruch konnten die eh schon geförderten Kinder mehr mit diesen Programmen anfangen als in Unterschichtfamilien. Mit der Entwicklung des Massenmarkts für TV und Videorekorder ist dann sogar zeitweilig ein Gegeneffekt eingetreten: Unterschichtfamilien hatten vergleichsweise mehr Videorecorder als Mittelschichtfamilien. Sieht man also von Einführungsphasen ab, dann scheint der sozio-ökonomischen Lage nicht direkt sondern nur indirekt eine gewisse Bedeutung zuzukommen. Wichtiger ist vielmehr, dass die Art und Weise der Mediennutzung je nach psychologischer Art der Lebensform recht unterschiedlich erfolgt. Solche Unterschiede konnten mit Bezug auf das Fernsehverhalten in verschiedenen Familientypen festgestellt werden.

Das Fernsehen spielt heute je nach Familientyp eine andere Rolle als "Familienmitglied".

Hurrelmann untersuchte in ihrer Studie vier Familienformen (Ein-Kind-Familie, Zwei-Kind-Familien, Kinderreiche und Alleinerziehende), die in unterschiedlicher Weise mit dem Fernseher leben. In Zwei-Eltern-Familien mit einem Kind oder mit zwei Kindern scheint das Fernsehen relativ selbstverständlich und problemlos in den Familienalltag integriert zu werden. Die Eltern fühlen sich relativ sicher, dass die von ihnen aufgestellten Fernsehregeln befolgt werden und dass die Kinder auch außerhalb der Familie nichts Ungeeignetes sehen. Diese Eltern wissen über die Fernsehgewohnheiten der Kinder besser Bescheid als die Eltern in größeren Familien. Negative Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder wie z. B. Ängste, Nervosität, Aggressivität etc. beobachten sie seltener. Traditionelle Zwei-Eltern-Familien vermitteln insgesamt den Eindruck, in der Fernseherziehung "alles im Griff" zu haben.

In der Ein-Kind-Familie findet man die größte Akzeptanz des Fernsehens. Die Kinder sind mit elektronischen Medien, über die sie selbst verfügen können, am reichsten ausgestattet. Zugleich bekunden die Eltern die größte Erziehungssicherheit, was den Fernsehgebrauch ihres Kindes anbelangt. Es gibt viele gemeinsame Sehinteressen von Eltern und Kindern. Die Kinder sehen mehr mit den Eltern zusammen fern als andere Kinder, obwohl sie am häufigsten über ein eigenes Gerät verfügen und natürlich auch alleine sehen. Die Eltern sprechen die Kinder am häufigsten darauf an, was sie sich angeschaut haben, auch die Väter. Umgekehrt wenden sich die Kinder häufiger an die Eltern - selbst bei solchen Fernsehthemen, die sonst eher unter Gleichaltrigen besprochen werden.

In den kinderreichen und den Ein-Eltern-Familien gibt es dagegen in höherem Maße Probleme mit der Fernseherziehung. Solche Familien leben oft unter schwierigen materiellen und räumlichen Bedingungen. Diese Eltern wissen meist nicht viel über die Fernsehnutzung ihrer Kinder. Viele Mütter sind sich über ihre Fernseherziehung unsicher, häufig kommt es vor, dass man auf Fernsehregeln ganz vernichtet. Es gibt oft Konflikte um die Programmauswahl, die Eltern fühlen sich beim gemeinsamen Fernsehen durch die Kinder gestört, geben ihren Kindern aber auch vergleichsweise wenig Hilfen zur Verarbeitung von Fernseherlebnissen. Bei den Müttern von vielsehenden Kindern findet man oft Ohnmachtsgefühle und eine regelrechte Erziehungsmüdigkeit. Dabei ist nicht unwesentlich, dass sich kinderreiche Väter in der Regel weniger für die Familie engagieren als Väter mit nur einem oder zwei Kindern.

Alleinerziehende Mütter stehen dem Fernsehen der Kinder relativ skeptisch gegenüber. Für sie ist das Fernsehen schon deshalb ein Problem, weil sie nicht immer mitbekommen, wann und wo ihre Kinder welche Sendungen sehen. Besondere Probleme ergeben sich auch daraus, dass das Medium für die Beziehungsgestaltung in der knappen gemeinsamen Freizeit von Mutter und Kind(ern) einen höheren Stellenwert bekommt als in anderen Familienformen. Man findet bei allein erziehenden Müttern aber auch eine erhöhte Problemsensibilität, nicht nur was die Fernseherziehung betrifft. Das Bewusstsein, in einer besonders belastenden Lebenssituation zu sein, verbindet sich oft mit Zweifeln an der eigenen Erziehungsfähigkeit überhaupt (vgl. Hurrelmann et al. 1996).

Das Fernsehen hat aus einer systemisch-ökologischen Perspektive verschiedene Funktionen im Sozialisationsprozess. Das Medium Fernsehen ist im unmittelbaren Nahraum der Familie für alle Teilnehmer präsent, es greift mit seinen Programmangeboten in die familialen Interaktions- und Kommunikationsprozesse ein. Insbesondere ist es beteiligt an drei zentralen Sozialisationsaufgaben der Familie: an der Organisation des Alltags mit Kindern, an der Gestaltung der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, an der Vermittlung der außerfamilialen gesellschaftlichen Umwelt. Darüber hinaus ist in vielen Familien der Fernseher nicht mehr ein gemeinsam zu nutzendes Medium, sondern es steht mehrfach zur Verfügung: für das Kind im Kinderzimmer, für die Hausfrau in der Küche und den Vater im Arbeitszimmer. Auf diesem Hintergrund haben zukünftig Spartenprogramme eine vermutlich große Erfolgschance.

Die Rolle des Fernsehens als einigendes Band für die Familie, die im Wohnzimmer zusammen kommt und in trauter Eintracht im Halbkreis um den Fernseher herum sitzt, hat sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Aufenanger (1993) konnte bereits vor ein paar Jahren feststellen: Nur ein Drittel der befragten Eltern und Kinder schauen noch gemeinsam fern. Wenn die gesamte Familie dann doch mal gemeinsam vor dem Fernsehapparat sitzt, dann ist dies meist am Samstagabend, um sich Unterhaltungs- bzw. Musiksendungen anzuschauen. Die Mutter hat den größten Einfluss auf die Fernsehnutzung ihrer Kinder, darf aber beim gemeinsamen Fernsehen in der Familie am wenigsten bei der Programmwahl mitbestimmen. Bei den Eltern sind die pädagogisch wertvollen Sendungen der öffentlich rechtlichen Sender besonders beliebt, während Kinder lieber Zeichentrickfilme sehen. Werbung löst in einem Teil der Familien Konflikte zwischen Eltern und Kindern aus, wobei vor allem Spielzeugwerbung Konflikte auslöst.

In den letzten Jahren wird in manchen Familien der Fernseher in den Hintergrund gedrängt, weil Video- und Computerspiele bei den Kindern und Jugendlichen auf größeres Interesse gestoßen sind. Während in vielen Familien Fernseher als Babysitter dienen, führt in anderen Familien der Fernseher die Familie im Wohnzimmer zusammen. Während manche Alleinerziehende zur Förderung des "vernachlässigten Kindes" einen Computer kaufen, mit dem sie selbst nichts anzufangen wissen, wird in anderen Familien der Computer zum neuen gemeinsamen Freizeitinteresse von Eltern und Kindern (z.B. wenn Vater und Sohn am Computer spielen). Die Nutzung von Bildschirmspielen wird daher ausführlich in einem extra Kapitel diskutiert (vgl. Kap. 3).

Die Art und Weise der Mediennutzung hängt also fundamental von den individuellen und sozialen Rahmenbedingungen ab. Die neuere Mediennutzungsforschung steht daher vor dem Problem, dass es heute sehr viele verschiedene Familientypen gibt, die von sich aus jeweils andere Prädispositionen für die Mediennutzung haben (vgl. Baacke & Lauffer 1988, Leu 1993, Hurrelmann et al. 1996).

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