3.4.5 Bildschirmspiele im Familienalltag

Die Ergebnisse unserer Untersuchung ermöglichen keine repräsentative Aussage über die Nutzung von Computerspielen und anderen elektronischen Medien in der Familie, wir konnten aber wichtige Aspekte der Medienrezeption beispielhaft beleuchten, die in anderen Untersuchungen bisher nicht beachtet wurden. Dabei ging es uns insbesondere um Fragen der Interaktion und geschlechtsbezogene Unterschiede.

Bereits in unserer ersten Untersuchung zu Bildschirmspielen (vgl. Petzold 1996) konnten wir feststellen, dass jüngere Kinder ausschließlich mit dem Gerät spielen, während es von älteren Kindern und Jugendlichen auch zum Lernen benutzt wird. Wie in allen anderen vorliegenden Untersuchungen (vgl. Marxen & Sudek 1998; Fritz & Fehr 1997; Fritz 1995; Hoelscher 1994; Dittler 1993; Fromme et al. 2000) ergab auch die Analyse unserer Stichprobe, dass sich Mädchen weniger als Jungen mit Bildschirmspielen beschäftigen. Sie sitzen unregelmäßiger und insgesamt weniger oft am Bildschirm und fühlen sich auch stärker von anderen Benutzern abhängig.

Informationen über neue Spiele beziehen Kinder im überwiegenden Maße von Freunden bzw. aus Gesprächen mit Schulkameraden. Die Familie spielt eine untergeordnete Rolle, wie auch Leu (1993) sowie Marxen und Sudek (1998) feststellen konnten, wobei Väter für jüngere Kinder und Mädchen noch eine gewisse Bedeutung, Mütter dagegen fast keine Relevanz haben. In der Familie sind die gleichgeschlechtlichen Geschwister für Jungen bzw. Mädchen wichtige Ansprechpartner am Bildschirm.

Wenn die Kinder am Computer sitzen, dann sitzen sie dort häufig nicht allein. Auch solche Spiele, die nur fürs Alleinspielen konstruiert sind, werden regelwidrig - aber kreativ - gemeinsam mit Freunden gespielt ("ich laufe, du schießt"), während Geräte wie der Gameboy, die auch für gemeinsames Spiel konstruiert sind, kaum dafür genutzt werden. In Übereinstimmung mit anderen Untersuchungen (vgl. Marxen & Sudek 1998, Weiler 1997; Spanhel 1987; Fromme et al. 2000) verdeutlichen auch unsere Ergebnisse, dass bildschirmspielende Kinder auch vielfältige andere Freizeitinteressen haben, wobei Treffen mit Freunden, Sport und Fernsehen die wichtigsten sind. Unsere Ergebnisse weisen aber auch wichtige geschlechtstypische Muster auf: Neben den Bildschirmspielen ist Lesen als Freizeitbeschäftigung typisch für Mädchen, während Jungen signifikant weniger lesen (vgl. Petzold 1996).

Die Spielinteressen sind sehr vielfältig und können nicht mit einem Satz zusammengefasst werden. Gestützt auf die Systematisierung von Spielen nach Fehr und Fritz (1993) konnten wir keine signifikanten Bevorzugungen nachweisen. Allenfalls eine Tendenz ergab sich in unserer ersten Untersuchung (vgl. Petzold 1996): Mädchen scheinen eher spaßig-witzige Spiele oder Geschicklichkeitsspiele zu bevorzugen, während Jungen eher längere Adventures durchspielen. Allerdings gaben auch mehr Jungen als Mädchen an, dass sie bei Problemen, im Spiel weiterzukommen, aufhören. Mädchen könnten also über stärkere Motivationen verfügen, ein angefangenes Spiel zu Ende zu führen. Dazu gedruckte Lösungshilfen zu benutzen, scheint jedoch jungenspezifisch zu sein. Eine genauere Analyse der Motivationsstruktur hatten bereits Steckel et al. (1995) vorgelegt. In Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen konnten auch wir mit Hilfe einer Faktorenanalyse ähnliche Hauptmotive eruieren. Für einen Teil der Spieler unserer Untersuchung der verschiedene Motive haben Gewaltdarstellungen eine große Faszination - dies ist aber vermutlich keineswegs die Mehrheit. Eine andere Gruppe beschäftigt sich gerne mit Computerspielen weil lustige und witzige Aufgaben/Darstellungen Spaß machen und Geschicklichkeit Spannung, Aufregung und Aktion gefordert werden. Während dies eher Mädchen sind, begeistern sich Jungen eher für Tüfteleien und Strategiespiele bzw. Abenteuer-, Simulations- oder Rollenspiele. Schließlich gibt es eine Gruppe von jungen Nutzern, die leichte Ablenkung und Zeitvertreib suchen, aber Kampf und Wettstreit ablehnen.

Obwohl das Spielgerät meist in der Familie steht und von den Eltern finanziert wird, sind Mütter und Väter zum Thema Computerspiel nicht die Hauptkommunikationspartner für die Kinder. Vielmehr werden bei Problemen mit dem Spiel in zwei Drittel aller Fälle Freunde gefragt. Im Erfahrungsaustausch allgemein haben Freunde einen noch höheren Stellenwert, wie auch in anderen Untersuchungen gezeigt werden konnte (vgl. Marxen & Sudek 1998, Hoelscher 1994, Dittler 1993, Fritz & Fehr 1997). Ein bemerkenswertes Ergebnis unserer Studie ist, dass fast die Hälfte der Befragten auch Kinder kennt, die über Bildschirmspiele nicht reden wollen. Unsere Analyse des Zusammenhangs von Familientypen und Spielenutzung ergab, dass in Ein-Elter-Familien sowohl die Mütter als auch die Kinder häufiger am Computer sitzen. Dies könnte als Hinweis auf eine insgesamt größere Mediennutzung in Ein-Elter-Familien interpretiert werden, wie es auch schon für die Fernsehnutzung von Hurrelmann et al. (1996) festgestellt werden konnte.

Über andere Studien hinausgehend konnten wir in unserer Studie Meinungen von Kindern mit den Einschätzungen von Vätern und Müttern vergleichen. Da man annehmen könnte, dass auf Grund großer Besorgtheit von Eltern und der hohen Faszinationskraft des Geräts bei Kindern Unterschiede in der Einschätzung entstehen könnten, waren wir erstaunt, dass im Großen und Ganzen diese Unterschiede aber nicht sehr bedeutsam waren. Allenfalls die geschlechtstypisch gegenläufige Überschätzung der Computernutzung ist bemerkenswert und könnte als Resultat gesellschaftlich vorherrschender Geschlechtsrollenstereotype interpretiert werden.

Die befragte Stichprobe ist zwar keineswegs repräsentativ für deutsche Kinder, die speziellen Zusammenhänge beim Spiel dieser Kinder können jedoch wichtige Anregungen für die pädagogische Arbeit und die weitere Forschung geben. Medienpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sollte in Zukunft berücksichtigen, dass in der Familie die Kompetenz der Eltern sehr beschränkt ist und gefördert werden könnte. Zusätzlich sollte auch das Verständnis für den Stellenwert von Bildschirmspielen als eine von verschiedenen möglichen Freizeitaktivitäten vermittelt werden.

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