5.4 Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Für die Industriegesellschaft war nach langen Eingewöhnungsphasen Erwerbsarbeit selbstverständlich außerhäusliche Arbeit. Diese Trennung von Familien- und Erwerbsarbeit wird durch die Lockerung von Anwesenheitsregelungen, elektronische Vernetzungen dezentraler Arbeitsplätze usw. wiederum rückgängig gemacht. Die weit reichenden gesellschaftlichen Konsequenzen lassen sich nur erahnen: Entlastung des täglichen Berufsverkehrs, mögliche Entstädterung der Städte, Einschränkung der alltäglichen Ortsmobilität, die gleichsam elektronisch delegiert und so bei räumlicher Immobilität sogar noch gesteigert werden kann usw. (vgl. Beck 1986, S. 227).

Fast alle Telearbeiter/innen haben in den Familien zunächst einmal typische Rollenkonflikte erfahren. Fast alle haben gelernt, mit der räumlichen und zeitlichen Trennung von Funktionen wie Beruf, Elternschaft, Haushaltsorganisation, Freizeit/Sport usw. umzugehen, aber fast niemand hat Erfahrung mit ihrer räumlichen und zeitlichen Verquickung. Eine humorvolle Probandin von Ursula Huws antwortete auf die Frage, was der größte Vorteil der Telearbeit für sie sei: "den ganzen Tag bei den Kindern zu sein", und auf die Frage, worin der größte Nachteil liege, ebenfalls "den ganzen Tag bei den Kindern zu sein" (Huws 1984, S. 43).

Nicht nur Kinder haben große Mühe mit dem Widerspruch zu leben, dass jemand da ist und doch nicht da ist, das heißt räumlich anwesend aber wegen Berufstätigkeit nicht ansprechbar. Sich an den Umstand zu gewöhnen, dass Mama oder Papa bei der Telearbeit nicht gestört werden dürfen, kann für kleine Kinder anfänglich traumatisch sein. Auch Freunde oder sonstige Besucher verhalten sich Heimarbeitern gegenüber anders als kämen sie zu ihnen ins Büro. Sie erwarten, dass man ihnen etwas anbietet, sie zum Dableiben und Essen einlädt, jedenfalls doch ausgiebig mit ihnen schwatzt o.ä. "Daß Teleheimarbeit 'elektronische Einsiedler' hervorbringe, die keine zwischenmenschlichen Kontakte mehr hätten, ist eine Fehlwahrnehmung. Im Gegenteil führt diese Art zu arbeiten und zu leben gelegentlich zu einer allzu regen Geselligkeit. Zu Hause zu arbeiten heißt nicht im geringsten, alleine zu arbeiten" (ebda.). Für den beruflichen Erfolg kommt es aber darauf an, ob der Kontakt zur betrieblichen Arbeitswelt gepflegt wird. Trent, Smith und Wood (1994) verglichen 15 Telearbeiter, 9 Heimarbeiter und 14 Büroangestellte in Bezug auf Umgang mit Stress und Social Support. Gerade die nur zu Hause arbeitenden klassischen Heimarbeiter hatten den größten Stress, während sowohl Telearbeiter als auch betriebliche Angestellte gleich wenig Stress erlebten. Sie vermuten als entscheidenden Grund, dass sich Telearbeiter durch den aktiv betriebenen regelmäßigen Kontakt zu Kollegen nicht einsam oder vergessen fühlen.

Auffallend für Frauen ist, dass sie stärker als alle anderen befragten Teleheimarbeiterinnen die Probleme betonen, die ihre Tätigkeit zu Hause aufwirft. Der mangelnde betriebliche Kontakt wird als gravierender Nachteil für die Arbeit zu Hause begriffen. Die mangelnde Abschirmung von Anforderungen durch Familienmitglieder und insbesondere Kleinkinder belaste die Arbeit derart, dass sie trotz (oder wegen) ihrer Arbeit zu Hause zeitweise Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder organisieren müssen oder nur arbeiten können, wenn der Ehemann zu Hause ist. Alle Frauen würden lieber einen größeren Teil ihrer Berufsarbeit im Betrieb erledigen, wo sie mehr Ruhe hätten (vgl. Goldmann & Richter 1992).

Die Aufhebung der Trennung von betrieblicher Arbeitsstätte und Privatwohnung bedeutet keineswegs, dass damit auch das Problem der Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Familienaufgaben für diese Frauen gelöst ist. Familienbezogene Spielräume bei der Zeitgestaltung werden durch Art und Umfang der zu erledigenden Hausarbeit und anderer Familienaufgaben definiert. Diese wiederum sind abhängig von der Größe der Familie, dem Alter der Kinder, der finanziellen Situation der Familie etc. Die Flexibilität in diesem Bereich wird entschieden geprägt von den Arbeits- und Tagesrhythmen der einzelnen Familienmitglieder und von der Intensität, Dringlichkeit, Vorhersehbarkeit oder Nichtvorhersehbarkeit ihrer Bedürfnisse (vgl. Goldmann & Richter 1992).

Diese positive Einschätzung betont auch Godehardt (1995). In ihrer NRW-Studie werden die Vorteile der Telearbeit herausgehoben und sie nennt auch die verbesserten Möglichkeiten der Vereinbarung von familiären und beruflichen Zielvorstellungen, die höhere Zeitautonomie und die flexible Arbeitszeitgestaltung als Beispiele. Die sozialen Probleme, die bei der früher diskutierten Form der Teleheimarbeit auftraten (Gefahr der sozialen Isolation), bestehen bei der alternierenden Form der Telearbeit nur eingeschränkt. Die Flexibilität ist auch nicht so groß, dass durch Telearbeit die Chance entstünde, häufiger als sonst spontan private Besuche zu machen und zu empfangen.

Auch Katz und Duell (1990) sehen die Telearbeit sehr optimistisch und meinen, dass von Männern ausgeführte individuelle Telearbeit eine Chance zur Aufweichung traditioneller geschlechtsspezifischer Rollen und damit eine Chance für Veränderungen der Strukturen menschlichens Zusammenlebens sein könnte. Sie sehen aber auch negative Implikationen, da unter den herrschenden gesellschaftlichen und arbeitsmarktlichen Bedingungen individuelle Telearbeit für Frauen mit sehr großen Nachteilen und Gefahren verbunden ist. Diese Nachteile liegen wohl besonders darin begründet, dass Frauen Telearbeit als temporär ansehen, während qualifizierte Telearbeit für Männer als Einstieg in die Selbstständigkeit gesehen wird.

Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt auch die IBM-Studie: "Die Meinungen in der Literatur zur Auswirkung eines häuslichen Arbeitsplatzes auf die Lebensqualität im Ganzen sind zwiespältig. Zum einen herrscht beinahe Euphorie vor: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Teilnahme am Leben der Kinder, Aufhebung der Trennung von Beruf und Privatleben. Zum anderen wird aber befürchtet, daß der Berufsstress in die Familie getragen wird, daß die Familie unter einer dauernden Selbstüberlastung des arbeitenden Partners zu leiden hat und daß sich Alleinlebende durch den reduzierten Kontakt zu Kollegen isoliert fühlen. Hinsichtlich der Effektivität der Arbeit werden negative Auswirkungen durch Störungen aus dem familiären Raum heraus nicht ausgeschlossen" (Glaser & Glaser 1995, S. 63f.).

Die Aufhebung der Trennung von betrieblicher Arbeitsstätte und Privatwohnung bedeutet keineswegs, dass damit auch das Problem der Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Familienaufgaben für diese Frauen gelöst ist. Familienbezogene Spielräume bei der Zeitgestaltung werden durch Art und Umfang der zu erledigenden Hausarbeit und anderer Familienaufgaben definiert. Diese wiederum sind abhängig von der Größe der Familie, dem Alter der Kinder, der finanziellen Situation der Familie etc. Die Flexibilität in diesem Bereich wird entschieden geprägt von den Arbeits- und Tagesrhythmen der einzelnen Familienmitglieder und von der Intensität, Dringlichkeit, Vorhersehbarkeit oder Nichtvorhersehbarkeit ihrer Bedürfnisse (vgl. Goldmann & Richter 1992).

Verschiedene US-amerikanische Studien haben die Zusammenhänge zwischen Telearbeit und Lebensqualität genauer untersucht. Im großen Umfang wurde die Problematik der Auswirkungen der Telearbeit von Carsky, Dolan und Free (1991) diskutiert. Sie beschrieben 19 Bedingungsgefüge, wie Telearbeit und Lebensqualität bei Frauen mit Familienpflichten zusammenhängen:

- Telearbeit, die aus einem Hobby o.ä. entsteht, führt eher zu Arbeitszufriedenheit.

- Wird Heimarbeit nur aus finanziellen Gründen angenommen, ist mit geringer Zufriedenheit verbunden.

- Die Auswirkungen der Arbeit zu Hause sind je nach Art der Arbeit und der Art der häuslichen Bedingungen sehr verschieden.

- Wenn die Familie der Arbeit untergeordnet wird, beeinträchtigt dies die Zufriedenheit und Lebensqualität der ganzen Familie.

- Kann die gewünschte Balance zwischen Arbeit und Familie hergestellt werden, ist die Lebenszufriedenheit für die Telearbeiterin selbst und die Familie höher.

- Wenn Familienpflichten und finanzieller Druck jeden Augenblick beherrschen, sinkt Zufriedenheit und Lebensqualität.

- Wenn die Forderungen der Familie vorhersagbar oder mit der Arbeit vereinbar sind, werden Telearbeiterinnen und deren Familie mehr Lebensqualität erfahren.

- Wenn sich die Familienmitglieder an die sich ändernden Bedingungen der Telearbeit anpassen können, wird die Familie als Ganzes mehr Lebensqualität erleben.

- Wenn die Familienmitglieder das Gefühl haben, dass ihre Unterstützung für die Telearbeiterin wichtig ist und zum finanziellen Einkommen beiträgt, dann wird sowohl die Lebensqualität der Familie als auch die Zufriedenheit der Telearbeiterin zunehmen.

- Wenn Telearbeiterinnen wahrnehmen, dass sie angemessen entlohnt/belohnt werden, dann wird auch ihre Arbeitszufriedenheit steigen.

- Wenn Elemente der Art der Telearbeit die familiäre Interaktion beeinträchtigen, sinkt die Arbeitszufriedenheit und die Lebensqualität der Familie.

- Wenn der Arbeitsstress die Kontroll- und Unabhängigkeitsgefühle der Telearbeiterin überwiegt, sinkt vermutlich die Arbeitszufriedenheit und Lebensqualität der Telearbeiterin.

- Wenn Telearbeit vereinbar mit den Alltagsroutinen der Familie ist, steigt die Arbeitszufriedenheit der Telearbeiterin und die Lebensqualität der Familie.

- Bei Familien mit kleinen Kindern wird die Flexibilität bezüglich der Arbeitsverpflichtungen höher anzusetzen sein und zu größerer Lebensqualität der Familie führen.

- Selbst Zeit und Zahl der Arbeitsstunden zu bestimmen, wird zu größerer Zufriedenheit der Telearbeiterin beitragen.

- Erfordert die Art der Arbeit hohe Konzentration, wird ein Arbeitsplatz mit möglichst geringer Störung durch die Familie höhere Zufriedenheit der Telearbeiterin auslösen.

- Wenn die Telearbeit nur geringe Konzentration erfordert, wird ein Arbeitsplatz eingebettet in das familiäre Leben zu größerer Zufriedenheit beitragen.

- Wenn das Einkommen als angemessen angesehen wird, wird dies zur Zufriedenheit der Telearbeiterin beitragen.

- Wenn das Einkommen nicht ausreicht, um die finanziellen Bedürfnisse der Familie zu befriedigen, wird die Zufriedenheit der Telearbeiterin und die Lebensqualität der Familie sinken.

Telearbeit erscheint oft als ideale Lösung bei sonstiger Nichtvereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung. Die Flexibilität der Arbeit zu Hause wird ermöglicht durch eine jeweils individuelle Lösung. Aus den Ergebnissen der IBM-Studie wissen wir darüber hinaus, dass nur ein Fünftel dieser Telearbeiter zu der Zeit arbeiten konnte, wo sie sich am leistungsfähigsten fühlten. Dazu stellt sich zunächst die Frage, wann telearbeitend am ungestörtesten gearbeitet werden kann. Frauen meinten, die beste Zeit sei, wenn Kinder im Bett sind; die Männer meinten, die beste Zeit sei dann, wenn kein Telefon sie störe (vgl. Glaser & Glaser 1995). Dies weist auf einen weiteren Aspekt hin. Männer erwarten von telearbeitenden Ehefrauen, dass sie ihre Familienpflichten nicht vernachlässigen, d.h. die Doppelbelastung wächst. Glaser und Glaser (1995) fanden aber in der IBM-Studie keine subjektive Wahrnehmung einer so gewachsenen Doppelbelastung. In ihrer Befragung unterschieden sich aber die Antworten von Männern und Frauen hier nicht, beide Gruppen drückten die extreme Verneinung einer solchen Erfahrung aus. Mit Bezug auf konkrete Einzelfallstudien ist diese Aussage bisher nicht empirisch widerlegt worden, sondern nur durch allgemeine Überlegungen in Frage gestellt worden (vgl. z.B. Goldmann & Richter 1992, Katz & Duell 1990). Es wäre eine Aufgabe der künftigen Forschung, die individuelle Belastung von Telearbeitern in der Familie spezifischer zu erforschen.

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