7. Ausblick

Abschließend soll kurz und essayistisch skizziert werden, welche Chancen und Probleme sich aus der Nutzung der neuen elektronischen Medien in der Familie ergeben. Kinder wachsen heute mit einer Multimedia-Welt auf, die für Eltern bis vor kurzem unvorstellbar war. Mütter und Väter hegen viele Sorgen und Befürchtungen, aber die Probleme liegen nicht in den Medien selbst, sondern in der Kompetenz der Menschen, die Medien kritisch und mit Gewinn für sich zu nutzen.

In den meisten Haushalten mit Kindern gibt es mittlerweile einen Internet-Zugang, aber wir sind erst am Anfang einer rasanten Entwicklung, und es stellt sich die Frage: Wird dieses Medium das Familienleben in Zukunft auf den Kopf stellen? Ob eine solche Vision tatsächlich Wirklichkeit wird, hängt von den Menschen ab. Wollen sie in einer dermaßen technisch gestalteten kommunikativen Welt leben? Wer solche Befürchtungen hegt, schreibt der Technik große Fähigkeiten zu. Aber die Technik selbst ist nichts ohne die Menschen, die die Geräte erfinden, herstellen und bedienen. Nicht die Weiterentwicklung des technischen Geräts „Computer“, sondern die psychischen Einstellungen der Menschen werden über die Zukunft der neuen Medien in der Familie entscheiden. In wenigen Jahren wird aber sicherlich einiges von dem, was sich heute noch wie Zukunftsfantasie anhört, selbstverständlich sein. Bereits heute sind Computer und Internet aus vielen Familien nicht mehr wegzudenken.

Die größten Befürchtungen richten sich heute auf die Kinder. Man kann erahnen, dass das Internet die Kindheit stark verändern wird: In Anspielung auf den Buchtitel „Generation X“ der das Lebensgefühl junger Leute in den frühen 90er-Jahren beschrieb, spricht Opaschowski von der „Generation @“. Für die Jugend wird der Umgang mit dem Internet so normal wie das Telefonieren. Schon heute lernen Kinder ihre Umwelt nicht mehr nur durch direktes Beobachten kennen, sondern sie gewinnen einen Großteil ihrer Lebenserfahrungen über die Medien. Nach wie vor hat das Fernsehen dabei eine große Bedeutung, aber Computer und Internet werden immer wichtiger. Überspitzt gesagt: Kinder erleben Tiere nicht mehr auf dem Bauernhof bei Verwandten, sondern in der Fernsehwerbung oder im virtuellen Zoo im Internet. So stellte unlängst eine Studie bei Vorschulkindern in einem Malwettbewerb fest, dass Kinder Kühe in lila malten.

Außerdem wird die Globalisierung durch neue Medien für Kinder bereits zum Alltag: Wenn ein Zehnjähriger früher neue Freunde kennen lernen wollte, ging er auf die Straße. Der Bekanntenkreis beschränkte sich in der Regel auf Kids aus der Nachbarschaft, Schule und Verwandtschaft. Heute kann sich ein Kind auch vor den Computer setzen und sich über das Datennetz mit Menschen irgendwo auf der Erde unterhalten. Dabei erfährt ein Kind vielleicht, dass in Chile im September Winter ist. Oder es kann gegen Gleichaltrige in Indien Schach spielen. Manche Jugendliche finden heute ihre erste Liebe beim Chat im Internet.

Diese Entwicklung kann man nicht mehr stoppen - ganz gleich, ob man sie für gut oder schlecht hält. Kinder können durch das Internet viel lernen. Sie werden schon in jungen Jahren gefordert, auf Englisch, also in einer Fremdsprache, zu kommunizieren. Es ist ganz natürlich, mit Menschen anderer Sprachen, Kulturen und Bräuche zu tun zu haben. Schon in jungen Jahren denken die Kinder global, das wird die Mentalität der Gesellschaft nachhaltig prägen.

Aber ich sehe auch eine Gefahr: Die Welt des Internet beschränkt sich auf die entwickelten Industrieländer. Die größten Teile der Erde, dort wo die meisten Menschen wohnen, sind nur schlecht angeschlossen. Sie kommen im „globalen Dorf“ praktisch nicht vor. Das weltweite Datennetz treibt die Spaltung in Arm und Reich voran - global, aber auch lokal. Wenn eine immer teurere Technik zur Grundausstattung einer Familie gehört, wird es auch bei uns vielen ärmeren bzw. kinderreichen Familien immer schwerer fallen, ihren Kindern diesen Standard zu bieten. Zu der sich weiter öffnenden sozialen Schere kommt dann noch das neue Phänomen der Computeranalphabeten hinzu, denn für die meisten Berufe muss man heute nicht nur lesen und schreiben können, sondern auch einen Computer beherrschen.

In der Welt der virtuellen Kommunikation via Internet, im so genannten „Cyberspace“, verschmelzen Wirklichkeit und künstliche Räume, die nur im Computer existieren. Kinder können mit diesen neuen Medien besser umgehen als Erwachsene. Zahlreiche Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Fernsehen belegen, dass Kinder sehr wohl wissen, dass ein Zeichentrickfilm oder ein Computerspiel nicht real sind. Als im Jahre 1938 in New York das Hörspiel von Orson Welles „Invasion vom Mars“ gesendet wurde, flüchteten erwachsene Menschen in Panikstimmung auf die Strasse. Heute würden schon die meisten Grundschulkinder erkennen, dass es sich um eine frei erfundene Darstellung handelt. Die Fähigkeit von Kindern, mit Medien umzugehen, ist in den letzten Jahren enorm gewachsen - sie lernen schneller als viele Erwachsene.

Viele Eltern sind besorgt wegen der vielen Gewalt- und Sexdarstellungen im Internet. Diese Befürchtungen sind berechtigt. Es gibt die Möglichkeit, durch technische Tricks diese Seiten sperren zu lassen. Das Vertrauen auf technische Lösungen ist aber oft nur von kurzer Dauer, denn es gibt immer kompetente Kinder, die diese Technik überlisten. Außerdem ist das Problem nicht neu. Bereits Fernsehen, Video und Computerspiele konfrontieren Jugendliche mit Gewaltdarstellungen. Sogar Lesen galt vor langer Zeit als gefährlich. Wer würde heute noch ernsthaft verlangen, dass Kinder, um sie vor Schundliteratur zu bewahren, nicht lesen lernen sollten? Natürlich ist es durch das Internet sehr viel leichter geworden, auf Gewalt- und Sex-Darstellungen zu stoßen. Aber es gibt heute keine beschützte Kindheit mehr, denn die Welt dringt unaufhaltsam ins Kinderzimmer ein. Auch wenn Kinder selbst keinen Fernseher oder Internet-Anschluss haben, werden sie spätestens durch Freunde oder Schulkameraden damit konfrontiert. Eltern können sie nicht vor der „bösen Welt“ abschirmen.

Eine häufig von Eltern vorgebrachte Sorge ist, dass ein Kind zum Einzelgänger wird, weil es stundenlang vor dem Bild-schirm hockt. Hinter dieser Sorge steckt die Angst der Eltern vor einer zu großen Macht, die der Com-puter über ihr Kind ausübt. Die Bedrohung wird oft als größer angesehen als sie wirklich ist. Eltern können diese Bedrohung am besten bewältigen, in-dem sie sich selbst mit dem Computer beschäftigen. Auf diese Weise lernen sie Chan-cen und Grenzen der Techno-logie kennen. Sie wissen, wo-mit sich ihr Kind den ganzen Tag beschäftigt. Oft sind die jungen Leute den Erwachse-nen im Umgang mit dem In-ternet weit überlegen. Dabei ist es oft möglich, dass Eltern von ihren Kindern lernen und sich von ihnen in die Welt der Datennetze einführen lassen. Das erleichtert das Ge-spräch über Inhalte und uner-wünschte Nebenwirkungen und es fördert die Kommunikation in der Fami-lie. Kinder vereinzeln häufig deswegen vor dem Computer, weil ihnen andere soziale Kon-takte fehlen, vielleicht auch gerade zu den eigenen Eltern.

Wenn Kinder und Jugendliche stundenlang, ja sogar ganze Tage oder Nächte vor dem Computer verbringen, machen sich viele Eltern große Sorgen. Es wird sogar von Gefahren einer „lnternet-Sucht“ gesprochen (Young 1999). Hier ist aber zunächst mehr Gelassenheit angeraten. Oft handelt es sich um eine vorübergehende Erscheinung. Computer und Internet bieten neue Eindrücke und Möglichkeiten, die ausprobiert werden wollen. Möglicherweise legt sich das mit der Zeit wieder. In der Regel geht jede neue Aktivität auf Kosten älterer Aktivitäten. Zumindestens für das Jugendalter konnte gezeigt werden, dass Jugendliche weniger fernsehen, weil andere interaktive Medien attraktiver sind. Eltern und Kinder sollten sich auf Zeiten einigen, wie lange sie täglich fernsehen oder im Netz surfen. Schwieriger ist es, wenn Anzeichen einer starken gewohnheitsmäßigen Abhängigkeit vorliegen. Neben Alkohol, Nikotin oder Rauschgiften gibt es Suchtmittel, die zwar nicht direkt körperlich abhängig machen, aber zu Gewohnheiten werden können. Dazu zählen auch Medien wie das Fernsehen, die Bildschirmspiele oder das Internet. Die Ursachen einer Sucht liegen aber nicht im Medium selbst. Nicht die Medien machen süchtig, sondern aus einem bestimmten Sozialisationshintergrund ergibt sich eine extensive Mediennutzung. Letztlich liegen die Gründe in der Persönlichkeitsstruktur eines Menschen, in seinen sozialen Beziehungen. Oft stimmt etwas in der Familie nicht. Vielleicht ist der innere Zusammenhalt der Familie sehr verarmt, man redet wenig oder gar nicht miteinander. Das Internet kann für den Jugendlichen zum Ersatz für mangelhafte Beziehungen zu Hause werden. Wenn wirklich eine suchtähnliche Abhängigkeit vorliegt, nützen Verbote wenig.

Es kommt heute besonders darauf an, dass Eltern die Medienkompetenz ihrer Kinder fördern. Dazu müssen sie sich zunächst selbst mit dem Internet auskennen, um sich mit den Kindern über die Inhalte unterhalten zu können. Wenn sich auch die Eltern auskennen und interessieren, kann man in der Familie über alles reden, über Chancen und Gefahren. Man kann davon ausgehen, dass Kinder nicht von sich aus nach Gewalt- und Pornografieangeboten suchen. Aber leider wird gerade dafür im Internet massiv Werbung gemacht. Es ist die Aufgabe der Eltern, die Persönlichkeit ihrer Kinder zu stärken, damit sie lernen, nur das zu suchen, was sie wirklich gebrauchen können. In der Flut der Medienangebote müssen Kinder lernen auszuwählen, zu entscheiden und auch „Nein!“ sagen zu können. Das Modellverhalten der Eltern, die Medien mit Gewinn für sich zu nutzen, aber zugleich einen kritischen Blick zu entwickeln, spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Viele Familien überlegen noch, ob sie sich einen Internet-Zugang anschaffen sollen. In der Geschäftswelt, am Arbeitsplatz und in der Freizeit ist das Internet kaum mehr wegzudenken. Wir sind aber erst am Anfang der Entwicklung. Kinder sollten frühzeitig lernen, mit den neuen Medium umzugehen, möglichst schon im Grundschulalter, wenn sie lesen und schreiben lernen. Computer und Internet gehören zu unserer Welt. Wer nicht damit umgehen kann, wird es in Zukunft schwer haben. Sich darin frühzeitig einzuüben, ist eine Aufgabe, die heute zu den elterlichen Grundpflichten dazugehört.

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